Wie fit sind die Kinder im Land? Welche Trends lassen sich nach Corona erkennen? Gibt es dabei Unterschiede zwischen Stadt und Land? Bereits seit elf Jahren lässt die Kinderturnstiftung Baden-Württemberg Daten des Motorik-Tests für Kinder (KITT+ 3-10) anonymisiert auswerten. Das Besondere: Die Daten werden von Sportfachkräften und pädagogischen Fachkräften in KiTa, Schule und Sportverein im Rahmen der Initiative „Turnbeutelbande“ erhoben. Auf Grundlage dieser Daten veröffentlicht die Stiftung seit 2018 in Zusammenarbeit mit Prof. Dr. Klaus Bös und dem Forscherteam um Dr. Claudia Niessner vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT) jährlich den Fitnessbarometer und ermittelt so den Fitnesszustand der Kinder in Baden-Württemberg. Das Ergebnis ist besorgniserregend: Der bereits letztes Jahr prognostizierte "Corona-Knick" zeichnet sich momentan ab.
Die positiven Wirkungen von Bewegung und Fitness auf die körperliche, geistige, soziale sowie auch psychisch-emotionale Gesundheit sind wissenschaftlich belegt. Und trotzdem werden regelmäßig Studien und Berichte veröffentlicht, die Alarmierendes offenbaren: Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) stellte vergangenes Jahr in ihrem Adipositasbericht fest, dass Übergewicht und Fettleibigkeit durch unter anderem Bewegungsmangel in Europa inzwischen „epidemische Ausmaße“ angenommen haben. Die für Deutschland repräsentative MoMo-Studie sowie Studien des RKI zeigen, dass die WHO-Bewegungsempfehlungen weder von Kindern noch von Erwachsenen erfüllt werden. In der Erklärung des Bewegungsgipfels, den die Bundesregierung im Dezember 2022 durchführte, verpflichteten sich alle Unterzeichnenden, konkrete Maßnahmen auf den Weg zu bringen, um Bewegung und Sport für alle Menschen in Deutschland möglich und leicht zugänglich zu machen. Dass dies vor allem bei Kindern wichtig ist, zeigt auch der Fitnessbarometer 2024 der Kinderturnstiftung Baden-Württemberg. Die heute veröffentlichten Daten belegen, dass der Fitness-Gesamtwert der Kinder in Baden-Württemberg weiter sinkt.
Das Fitnessbarometer 2024 hat neue Rekorde bei der Anzahl der getesteten Kinder gebrochen und lenkt die Aufmerksamkeit auf zwei wichtige Bereiche: Den befürchteten negativen Einfluss der Corona-Pandemie auf die Fitness der Kinder und den alarmierenden „Gewichtssprung“ von Kindergarten zu Grundschule. Das Fitnessniveau der Kinder fällt und das Übergewicht steigt drastisch, vor allem die Adipositas, die krankhafte Fettleibigkeit, hat sich beim Wechsel von Kindergarten zur Grundschule von 3,1 % zu 6,8 % mehr als verdoppelt.
Mit insgesamt 7358 Kindern, die im Jahr 2023 den Motorik-Test durchgeführt haben, erreicht das Fitnessbarometer einen neuen Höhepunkt. Die Turnbeutelbande, eine Initiative der Kinderturnstiftung Baden-Württemberg, trägt maßgeblich dazu bei. Seit 12 Jahren bietet die Stiftung kostenfrei einen Motorik-Test für Kinder an, um Bewegungsangebote an die motorische Entwicklung von Kindern anzupassen und deren Wirksamkeit zu überprüfen. Die hohe Anzahl an Testungen zeigt das gestiegene Interesse an der Bewegungsförderung von Kindern in Kitas, Grundschulen und Vereinen.
Die durch das Fitnessbarometer erhobenen Daten zeigen, dass das Fitnessniveau der Kinder seit 2012 konstant abnimmt, jedoch der Einfluss der Corona-Pandemie dennoch deutlich als Knick erkennbar ist. Prof. Dr. Klaus Bös, renommierter Experte für Bewegungsforschung und Testautor des Motorik-Tests, äußert seine Besorgnis über den anhaltenden Rückgang des Fitnessniveaus. Trotz des Endes der Pandemie bleibt das Fitnessniveau hinter dem von vor Corona zurück. „Der aktuelle Fitnesszustand der Kinder ist beunruhigend. Der Corona-Knick überrascht mich. Ich bin bisher davon ausgegangen, dass wir nach dem Ende der Pandemie nur von einer Corona-Delle sprechen können“, erklärt Prof. Dr. Klaus Bös.
Besonders besorgniserregend ist der „Gewichtssprung“ vom Kindergarten zur Grundschule. Die Zahlen verdeutlichen, dass der Anteil adipöser Kinder vom Kindergarten zur Grundschule sich mehr als verdoppelt. Dr. med. Thomas Kauth, Kinder- und Jugendarzt, warnt vor den gesundheitlichen Folgen des Bewegungsmangels: „Unsere Kinder sitzen sich in der Grundschule krank. Das muss ich leider so deutlich sagen. Denn die Bewegung nimmt durch das ständige Sitzen, Lesen und Lernen deutlich ab. Dieser „Gewichtssprung“ ist alarmierend", so Dr. Kauth.
Susanne Weimann, Vorstandsvorsitzende der Kinderturnstiftung Baden-Württemberg, ruft daher dazu auf, gemeinsam einen umfassenden Aktionsplan zu entwickeln, der kurz- und langfristige Maßnahmen zur Bewegungsförderung von Kindern beinhaltet. Dieser Plan soll alle bestehenden und wirkungsvollen Angebote berücksichtigen, aber auch neue Lösungen aufzeigen, um die körperliche Leistungsfähigkeit und Gesundheit der Kinder langfristig zu verbessern. Denn Kinder sind unsere Zukunft und die Bewegungsvorbilder von morgen. Die Stiftung selbst geht hier mit gutem Beispiel voran und sorgt u.a. mit der „Rollenden Kinderturnwelt“ für ein Angebot in den Kommunen vor Ort.
► Rollende Kinderturnwelt in Baden-Württemberg - Infos, alle Termine und Städte
Wie sich die Corona-Pandemie tatsächlich langfristig auf die Fitness unserer Kinder auswirkt, wird sich laut den Experten erst in ein paar Jahren zeigen. Testdaten sind daher das A und O. Pädagogische KiTA-Fachkräfte, Lehrkräfte an Schulen und Sportfachkräfte in Turn- und Sportvereinen sowie kommunale Vertreter können hier zum Beispiel den kostenfreien Motorik-Test für Kinder im Rahmen der Initiative Turnbeutelbande durchführen. Mit der Turnbeutelbande wurde eine Welt geschaffen, die es pädagogischen und Sportfachkräften ermöglicht, den aktuellen Leistungsstand der Kinder in Schule, Verein und Kita kindgerecht zu erheben und zu dokumentieren. Anhand der Ergebnisse kann eine gezielte Förderung abgeleitet werden. Infos hierüber gibt es hier.